Die Auswirkungen der Corona-Pandemie stellen die Frauenhäuser vor besondere Herausforderungen, das gilt auch für die Wetterau, wie die Landtagsabgeordnete Lisa Gnadl und die Kreistagsabgeordnete Natalie Pawlik (beide SPD) bei einer Video-Konferenz mit den Leiterinnen des Wetterauer Frauenhauses, Illona Geupel und Susanne Klein, bestätigt bekamen.
„Schon im ersten Lockdown haben wir ein Drittel mehr Hilfesuchende Frauen und ihre Kinder betreut als in normalen Zeiten. Deshalb haben wir große Bedenken, was in den kommenden Wochen auf uns zukommen wird, zumal auch Weihnachten ansteht. Weihnachten war für die Frauenhäuser leider schon immer eine Zeit, in der es zu mehr häuslicher Gewalt gekommen ist. Ich denke, das wird jetzt noch verschärft auftreten. Schon jetzt kommen auf einen Frauenhausplatz fünf Anfragen“, fasste Illona Geupel ihre Erfahrungen der letzten Monate und den Ausblick auf die nähere Zukunft zusammen.
So habe das Wetterauer Frauenhaus Anfang April vier zusätzliche Apartements für schutzsuchende Frauen und Kinder angemietet und die verfügbaren Plätze von 24 auf 32 erhöht. Allerdings seien diese Plätze Mitte April schon voll belegt gewesen. Zudem habe man diese erhöhte Nachfrage mit dem gleichen Personalstamm bewältigen müssen. „Das war schon vorher eine Herausforderung, mittlerweile ist es kaum noch auszuhalten“, schildert Geupel die Belastungen für die Frauenhaus-Mitarbeiterinnen. Die Beschäftigten hätten viele Überstunden geleistet und auf Urlaub verzichtet.
„Leider ist die Situation im Wetterauer Frauenhaus kein Einzelfall. Aus Frauenhäusern in ganz Hessen habe ich ähnliche Schilderungen gehört. Bereits im Jahr 2018 haben die Frauenhäuser 2.798 Frauen und deren Kinder wegen Platzmangels abweisen müssen. Individuelle, regionale Engpässe müssen schnellstens aufgelöst werden, um die tatsächlichen Bedarfe der bestehenden Häuser klar benennen zu können. Die Corona-Pandemie ist jetzt wie ein Brennglas, das Versäumnisse aus der Vergangenheit besonders deutlich offenlegt. In Hessen fehlen zum Beispiel 300 Familienzimmer in Frauenhäusern, um auch nur die Mindestanforderungen der Istanbul-Konvention, also des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu erfüllen. Deutschland hat dieses Übereinkommen unterzeichnet und das verpflichtet auch die Bundesländer und Kommunen. Aber es reicht natürlich nicht, nur neue Apartments oder Wohnungen bereitzustellen, es braucht auch das nötige Personal, um die Schutzsuchenden beraten und unterstützen zu können. Aber das Land müsste hier dringend mit einem eigenen Programm in mehr Personal und in Prävention investiven, denn die Kommunen alleine können das nicht stemmen“, so die Landtagsabgeordnete Lisa Gnadl.
Die notwendige Digitalisierung in Corona-Zeiten ist für das Frauenhaus und die schutzbedürftigen Frauen eine weitere Herausforderung. „Zuerst mussten wir unsere Ausstattung mit Laptops und Tablets verbessern, was uns zum Glück dank Spenden gelungen ist. Für viele Menschen sind digitale Angebote eine Erleichterung, viele sind davon aber auch überfordert, weil sie die notwendige Technik nicht besitzen oder weil es auch an dem nötigen Know-How mangelt. Für uns bedeutet das dann wieder Mehrarbeit, weil wir Unterstützung leisten müssen“, so Illona Geupel. Neben der Aufrüstung von Technik waren zeitintensive Schulungen zur Nutzung von digitalen Tools sowie für den Aufbau der Onlineberatung notwendig. Gleichzeitig mussten während des ersten Lockdowns die Onlinebeschulung der Schüler und Schülerinnen in den Frauenhäusern sicher gestellt werden, was wahrscheinlich auch im zweiten Lockdown zu erwarten sein wird. „Neben den veränderten Arbeitsstrukturen durch die Digitalisierung hat sich die Arbeitsbelastung der Gewaltschutzstellen und auch der angrenzenden Fach- und Beratungsstellen im Wetteraukreis stark verschoben. Wir mussten den Frauen viele Hilfestellungen durch die sehr stark reduzierten Zugangsmöglichkeiten existenzsichernder Behörden, Ämter und Institutionen leisten!“, ergänzt Susanne Klein.
Für die Kreistagsabgeordnete Natalie Pawlik ist es wichtig, dass auch der Wetteraukreis seinen Teil dazu beiträgt, die Ziele der Istanbul-Konvention zu erfüllen. „Deshalb ist es wichtig, dass wir im Kreistag beschlossen haben, eine Bestandsaufnahme für die Wetterau zu machen, wo wir den Zielen noch hinterherhinken und welche Maßnahmen wir ergreifen müssen, um sie zu erfüllen. Wenn wir häusliche und sexualisierte Gewalt im Wetteraukreis zurückdrängen wollen, brauchen wir einerseits gute Präventions- und Beratungsangebote, aber eben auch genug Kapazitäten und Personal, um Menschen in Notlagen zu helfen“, fordert Pawlik.
Wie die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses schilderten, seien sie bereits aktiv in die Arbeit zur Umsetzung der Istanbul-Konvention im Wetteraukreis und auf Landesebene eingebunden. „Aber auch das benötigt personelle Ressourcen. Das gleiche Problem haben wir mit so einigen Fördertöpfen des Landes und des Bundes. Uns fehlt schlicht die Zeit, neben unserer tagtäglichen Hilf- und Beratungsarbeit auch noch lange Anträge zu schreiben. Deswegen wundert es mich zum Beispiel auch nicht, dass von den Corona-Hilfen des Landes für den Bereich des Gewaltschutzes von Frauen und Kindern erst ein Drittel abgerufen wurde. Viele Frauenhäuser haben es schlicht nicht geschafft, die Mittel zu beantragen. Wir selbst haben das in Nachtarbeit erledigt“, so Susanne Klein.
Die Landtagsabgeordnete Gnadl versprach, sich weiterhin dafür einzusetzen, dass die bisher nicht abgerufenen Corona-Hilfsgelder für die Frauenhäuser nicht verfallen, sondern auch noch im kommenden Jahr zur Verfügung stehen. Damit könnten auch im Wetterauer Frauenhaus zum Beispiel die Schnelltests bezahlt werden oder auch die ab Januar angemietete Wohnung.
„Diese kurzfristigen Maßnahmen sind zwar notwendig, sie reichen aber nicht aus. Wir müssen das Netz an Frauenhäusern und Beratungsstellen auf eine ganz neue Ebene heben: Mit genügend Personal, dass sichere Arbeitsverträge bekommt und ordentlich bezahlt wird. Und wir brauchen eine Koordinierungsstelle auf Landesebene, die die Umsetzung der Istanbul-Konvention in Hessen überwacht und evaluiert und auch die Defizite klar benennt“, ist sich Lisa Gnadl sicher. Dies bestätigten auch die Leiterinnen des Frauenhauses und ergänzten, wie wichtig aus ihrer Sicht eine Vernetzung mit allen angrenzenden Fachbereichen im Wetteraukreis wäre und ist. „Nur dann wird das Netz der Beratungsstellen und Frauenhäuser eine Ebene erlangen, die sinnvollen und nachhaltigen Gewaltschutz auf allen Ebenen dauerhaft implementiert“, so Illona Geupel und Susanne Klein abschließend.