In der Landtagsdebatte zum Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zu einer Wahlrechtsreform hat sich die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion im Hessischen Landtag, Lisa Gnadl, für eine Überprüfung der Wahlrechtsausschlüsse für Menschen, die vollständig einer Betreuung unterstehen, ausgesprochen. Die bisherige Regelung, allen Personen, die einer Vollbetreuung unterstellt seien, automatisch das Wahlrecht abzusprechen, gehe an der Realität vorbei. Gnadl sagte am Donnerstag: Nicht jeder, der unter voller Betreuung steht, ist auch so schwer beeinträchtigt, dass er oder sie keine Wahlentscheidung treffen kann. Es gibt auch Fälle, in denen die Vollbetreuung auf eignen Wunsch der Betroffenen erfolgt. Auf der anderen Seite haben wir schwerstgeistig beeinträchtigte Personen, die keiner Vollbetreuung unterstehen, weil sie auf Dauer hospitalisiert sind. Wir haben es mit einer Ungleichbehandlung zu tun, die mit dem Grundsatz von gleichen Wahlen in Konflikt gerät.
Diese Ungleichheit werde noch größer, wenn man die Zahlen der Vollbetreuung in den einzelnen Bundesländern betrachte, die von weniger als zehn Wahlrechtsentzügen pro 100.000 Einwohnern in Hamburg oder Bremen bis 204 in Bayern reichten. Zudem habe sich mit der UN-Behindertenrechtskonvention, die seit 2009 auch in Deutschland gelte, der rechtliche Rahmen geändert: Damit hat sich Deutschland verpflichtet, sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt und umfassend am politischen und öffentlichen Leben teilhaben können. Vor diesem Hintergrund müssen die bisherigen Regelungen auf den Prüfstand gestellt werden, so die stellvertretende Fraktionsvorsitzende.
In Bezug auf die Debatte um ein mögliches Wahlrecht für dauerhaft in Hessen lebende Menschen ohne deutschen Pass sprach sich Gnadl dafür aus, auf kommunaler Ebene Drittstaatsangehörige mit EU-Bürgern gleichzustellen: Seit Beginn der 1990er Jahre haben EU-Angehörige schon das Recht, bei uns bei kommunalen Wahlen und Abstimmungen teilzunehmen. Dieselben Rechte anderen Staatsangehörigen, die dauerhaft hier leben, nicht zu gewähren, erscheint uns als eine künstliche Trennung. Warum darf ein Finne nach drei Monaten in Deutschland wählen, ein Norweger aber nicht, selbst nach zehn Jahren Aufenthalt hier?, fragte Gnadl. Auch Einwohnerinnen und Einwohner ohne deutschen Pass solle die Möglichkeit gegeben werden, bei der Gestaltung des örtlichen Nahbereichs und des unmittelbaren Lebensumfelds mitentscheiden zu können. Wir sind der Auffassung, dass eine solche Ausweitung des Kommunalwahlrechts ein Partizipationsangebot an die bei uns lebenden Ausländerinnen und Ausländer ist, ein Angebot, sich in unsere Gesellschaft und deren Gestaltung einzubringen. Erforderlich ist dafür aber eine Änderung des Grundgesetzes, so Gnadl.